Über Küche, Wörter und Kultur in Zeiten von Corona.
Eigentlich war es als eine Metapher gemeint, als der Wissenschaftler Edward N. Lorenz 1972 auf einem Kongress die Frage stellte: „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“ Spätestens jetzt wissen wir, dass er recht hatte.
So hat sich die Geschichte zugetragen: Es war einmal in der chinesischen Provinz Hubei, dass ein Mensch auf dem Markt die Zutaten für ein Mittagessen kaufte. Das Lebensmittel trug ein unbekanntes Virus in sich. Dieses kam in den Kreislauf des menschlichen Alltags, verbreitete eine Krankheit, legte den Flugverkehr lahm, ließ Restaurants, Kaufhäuser, Schulen, Theater, Konzerthäuser schließen, sorgte für Ausgangsverbote, legte die ganze Welt lahm, verschlang Billionen Euro und Dollar und – am schlimmsten – ließ über zwei Millionen dreihunderttausend Menschen sterben. Was dieser kleine, alltägliche Vorgang bewirkt hat, ist bei weitem mehr als ein Tornado. Souverän fummelt das Schicksal am Fundament unserer Welt, zu unseren Ungunsten. Zurück zu Lorenz: Bildhaft hat er veranschaulicht, wie durch eine kleinste Veränderung ein geordnetes System in einen ungeordneten Zustand übergehen kann.
Diese Pandemie hat kurios unser aller Leben verändert. Wir müssen sozusagen gegen das Virus, gegen den Wind segeln. Viele arbeiten nun ganz oder teilweise zuhause, was erstaunlich gut und effektiv funktioniert. Manche Bürotürme sind verwaist, so dass auf den Schreibtischen schon Moos wächst. Die Küche muss jetzt die Urlaubsreise ersetzen. Essen für die Seele. Es wird häufiger gekocht, man probiert sich in nordafrikanischer, vietnamesischer oder mediterraner Kochkunst aus. Kochlöffel rein, glücklich sein. Mein Nachbar, der noch nie in seinem Leben am Herd oder vor der Mikrowelle gestanden hat, ist jetzt zum Chef-Dosenöffner geworden. Da die Friseursalons verschlossen und verriegelt sind und Schere und Kamm nicht durch Profis zum Einsatz kommen dürfen, verwandeln wir uns haarmäßig fast schon in Hippies. Bald könnten viele als Statisten in dem amerikanischen Musical, das seinen Namen von den ungeschnittenen Haaren hat, mitwirken. Auch im Wortschatz wütet das pandemische Ungeheuer: „Shutdown“ und „Lockdown“, „Social Distancing“ und „systemrelevant“, „Maskenpflicht“ und „Reproduktionszahl“, „Inzidenzwert“ und „Super Spreading Event“ gehören jetzt zum Basiswortschatz der Grundschulkinder.
Unsere Kulturarbeit aber geht weiter, auch wenn wir Veranstaltungen absagen oder umtopfen müssen oder in der Warteschleife hängen. Wir planen für unser Publikum und die Künstler und hoffen, dass das kulturelle Leben in Friedrichshafen, Ravensburg, Weingarten und überall bald wieder pulsiert. Unsere Theater- und Konzertbühne schlummert noch vor sich hin, im matten Bühnenlicht tanzt Staub durch die Luft. Aber das Graue, Nüchterne und Unperfekte des leeren Raumes gibt dennoch einen Vorschein auf kommende Verheißungen: Wenn der Vorhang wieder aufgeht, das Publikum verstummt, wenn das Licht stimmt und die Schauspielerin oder der Schauspieler vor die Zuschauer tritt, Lampenfieber, trockener Mund, als wär’s das erste Mal. Wenn sie oder er anfängt zu sprechen und der Herzschlag sich langsam beruhigt.
Uns allen wird noch einige Geduld abverlangt, aber dann wird die Freude umso größer sein, das Publikum strömen und die Künstler*innen aller Sparten – und wir ebenso – strahlen.

Franz Hoben
Kulturbüro Friedrichshafen