Niemand weiß, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm
Zwei Fragen sind in Lukas Bärfuss neuem Roman „Die Krume Brot“ zentral: Kann man seiner Herkunft entkommen? Kann man der Armut entfliehen? Dass diese beiden Fragen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, sondern sich bedingen, zeigt schon der erste Satz des Romans: „Niemand weiß, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt, 45 Jahre vorher, um genau zu sein, an der Universität in Graz.“
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg stößt dort Adelinas Großvater auf die Schriften eines italienischen Nationalisten und schließt sich nach dem Krieg dem Italo-Faschismus an. Seinen Sohn Mario zwingt er zwei Jahrzehnte später zum Eintritt in die Armee und somit in die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Verstoßen von seinem Vater und gebrandmarkt durch dessen faschistische Vergangenheit emigriert Mario schließlich mit seiner Frau nach Zürich. Trotz der Geburt der Tochter Adelina wartet auch in der Schweiz kein Glück auf die eingewanderte Familie. Die Armut und ihre Herkunft haben sie fest im Griff. Als Mario einige Jahre später verstirbt, hinterlässt er seiner Tochter einen immensen Schuldenberg. Die Mutter flüchtet zurück nach Italien und Adelina begräbt nicht nur ihren Vater, sondern auch die eigenen Träume.
Die Schulden zwingen Adelina zunächst in die Fabrik. Nach kurzem Liebesglück steht sie alleine mit einer Tochter da, verliert ihre Stelle und ihre Wohnung und kämpft fortan ums Überleben. Sie flüchtet sich in immer neue Abhängigkeiten. Als sie schließlich einen reichen Mann kennenlernt, findet Adelina zwar keine Liebe, aber immerhin eine gewisse Sicherheit – doch eines Tages ist der Mann mit ihrer Tochter verschwunden.
Lukas Bärfuss, geboren in Thun (Schweiz), ist Dramatiker und Romancier, Essayist und Dramaturg. Seine Stücke werden weltweit gespielt, seine Romane sind in zwanzig Sprachen übersetzt. Er erhielt zahlreiche Preise, u. a. den Mülheimer Dramatikpreis und den Schweizer Buchpreis. 2019 wurde Lukas Bärfuss mit dem Georg-Büchner-Preis, dem renommiertesten Literaturpreis im deutschen Sprachraum, ausgezeichnet. Bärfuss ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und lebt in Zürich.
Im Kiesel wird der freie Kritiker Christoph Schröder das Gespräch mit Lukas Bärfuss führen. Schröder lebt in Frankfurt am Main und arbeitet unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, DIE ZEIT und den Deutschlandfunk.
Florian Kind ist stellvertretender künstlerischer Leiter im Kulturbüro Friedrichshafen.
Lesung & Gespräch: Lukas Bärfuss „Die Krume Brot“
Mo 18. Dezember, Kiesel im k42, 20 Uhr