Maren Kames und Rafik Schami „lesen“ in Ravensburg
Wörter sind so viel mehr als die Summe ihrer Buchstaben. Sie malen Bilder, erschaffen Welten und ganze Blockbuster im Kopf, Phantasie in HD. Das Wörtchen „lesen“ löst dies zwar alles aus, ist jedoch als Wort selbst wenig aufregend. Es entfaltet sich vielmehr im Tun. Vor allem dann, wenn es überfließt in die ältere Schwester, das Erzählen.
Rafik Schmi ist ein Meister darin. Seine Lesungen begeistern gerade deshalb, weil er seine Geschichten nicht liest, sondern fabuliert. Alle, die ihn je erlebt haben, wollen unbedingt erneut dabei sein, wenn er zum Spaziergang durch seine Geschichten lädt. Ob die Geschichten in Heidelberg oder Damaskus spielen, ob es um Geheimnisse, Reisen oder missglückte Geburtstage geht, überall warten Überraschungen. Rafik Schami erzählt von selbst Erlebtem und Gehörtem. Und selbst im tiefsten Ernst verlässt ihn nie der Humor, denn das Lachen ist, wie er schreibt, „der beste Schmuggler für Gedanken“. In seinen Texten verarbeitet er das Leben als Migrant in Deutschland und setzt sich immer wieder wortstark für Demokratie und Menschenrechte ein. Nicht zuletzt für dieses Engagement wurde er mehrfach ausgezeichnet. Bei Hanser erschien jüngst „Die geheime Mission des Kardinals“ (Roman, 2019).
Die klassische Poesie erhält leider viel zu selten eine Bühne. Entgegen dem Erzählen lebt sie nicht von überbordender Fabulierkunst, sondern von der Verdichtung. Was daraus in Kopf und Herz der Zuhörer entsteht, bleibt deutlich offener. Der Neue Ravensburger Kunstverein wagt mit Maren Kames dieses Experiment. Ihr zweiter Lyrikband „Luna Luna“ ist ein dunkler Text: Es geht um die dünne Wand zwischen Traum und Trauma, um dünne Haut, um eine Gans aus Pappmaché und den Bären, den sich eine aufbindet, um sich gegen den Wind zu schützen. Motive, Figuren und Sätze beschleunigen, karambolieren, knallen gegen unsichtbare Bande und werden von schwarzen Löchern verschluckt. Und über allem hängt Luna, ein Fixpunkt, leuchtend, wahnsinnig und selber rastlos. Maren Kames, 1984 in Überlingen geboren, lebt als Autorin und Übersetzerin in Berlin. Mit „Luna Luna“ war sie 2020 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Zuletzt erhielt sie den Literaturpreis der Stadt Wiesbaden für ihr intermedial angelegtes Schaffen.
Christina Schwarz ist Freelancerin für Text, Redaktion und Konzeption.
Lesung Rafik Schami
Do 12. Mai, Konzerthaus Ravensburg, 20 Uhr
Lesung Maren Kames
Sa 21. Mai, Neuer Ravensburger Kunstverein, Möttelinstr. 17, 20 Uhr