Eine der herausragendsten Avantgardistinnen Osteuropas
Die rumänische Künstlerin Geta Brătescu (1926–2018) gilt heute als eine der herausragendsten Avantgardistinnen Osteuropas. Zeitlebens erforschte sie in einer Vielzahl von Medien mittels serieller Variationen das erzählerische Potenzial abstrakter Formen. Dreh- und Angelpunkt ihres Œuvres bildet die Zeichnung. Das Zeichnen verstand Brătescu als einen physischen Akt, als eine Geste des Körpers, ähnlich einem Tanz, durch den sie die Welt in ihrer Umgebung ergründete.
Ihre verspielt experimentelle Kunst schuf sie zunächst dort, wo es nicht möglich schien: hinter dem Eisernen Vorhang, im kommunistischen Rumänien, wo der Sozialistische Realismus Staatsdoktrin war. Trotz staatlicher Repression besteht Geta Brătescu von Anbeginn unbeirrt auf die Rolle der Künstlerin bzw. des Künstlers als Vertreter des freien Denkens und eines lustvoll-spielerischen Experimentierens. Immer wieder thematisierte sie, auch durch die Aneignung widerständiger Figuren der Weltliteratur, die Bedeutung der Kunstschaffenden in der Gesellschaft sowie des Ateliers als Produktionsraum und mentales Kraftzentrum. Ausgangspunkt von Brătescus Collagen, installativen und performativen Foto- und Filmarbeiten bildeten gefundene Alltagsmaterialien und ihr eigener Körper. In diesen Arbeiten manifestiert sich Brătescus erweitertes Verständnis von der Zeichnung als konzeptuelle Ausdrucksform. Den Zeichenstift ersetzte sie in ihrem Spätwerk durch die Schere und konzentrierte sich in ihren farbintensiven Papiercollagen auf das freie „Spiel der Formen“. Die Ausstellung schlägt einen Bogen von 1967 bis 2018 und stellt mit knapp 50 Arbeiten, darunter zahlreichen seriellen Werken, erstmals in Süddeutschland das poetische wie kraftvolle Œuvre Brătescus vor.
Parallel ist bis zum 25. Juni 2023 im 2. Obergeschoss die Sammlungspräsentation der klassischen Moderne „Von Angesicht zu Angesicht“ zu sehen, die ausgesuchte Lieblingswerke der Sammlung Selinka im Dialog mit weiteren hochkarätigen Arbeiten aus einer süddeutschen Sammlung zeigt und anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Kunstmuseums konzipiert wurde.
Ute Stuffer ist Direktorin des Kunstmuseum Ravensburg.
GETA BRĂTESCU. DRAWING AS A DANCE
Vernissage Fr 24. März, 19 Uhr
Kunstmuseum Ravensburg, 25. März bis 25. Juni
Di 14–18 Uhr, Mi bis So 11–18 Uhr, Do 11–19 Uhr.
Foto: Mihai Brătescu