„Jeder Mensch braucht ein Gegenüber“.
Beziehungen gehen uns immer schon voraus und von klein auf leben wir in einem Austausch mit anderen. Wer ich bin, was mich ausmacht, wo meine Stärken und Schwächen liegen, wie mit mir auszukommen ist oder auch nicht, all das erfahre ich immer über die Spiegelungen und Rückmeldungen von Anderen in Interaktion und Kommunikation. Ohne „Du“ kein „Ich“ und ebensowenig ein „Wir“. Schon die Sprache, unser Denken, Selbstgespräche, Freundschaften, Familie, soziale wie politische Strukturen sind ohne ein Gegenüber, ohne Dia- und Polyloge unvorstellbar. Wir Menschen sind Beziehungswesen!
Auf ein Gegenüber angewiesen zu sein, klingt harmonisierend. Ein Gegenüber ist nicht immer positiv, gut oder bereichernd. Schnell kann es zu einseitigen, ja toxischen Beziehungen kommen. Braucht man jedes Gegenüber oder nur bestimmte Formen? Oder lässt sich sogar auf jedes Gegenüber verzichten? Wieso sollte ich, einmal sozialisiert, als autonomes Individuum noch andere brauchen? Geht es nicht ohne Rücksicht auf Beziehungen? – Oder gehören diese Vorstellungen eher zu den modernen Selbsttäuschungen? Vielleicht analog wie in der Geschichte sich Herrscher als absolut (miss)verstanden haben.
Wie bedeutsam für uns Menschen ein Gegenüber ist, zeigt sich ebenfalls in Konstellationen, in denen direkte zwischenmenschliche Beziehungen in den Hintergrund treten. Auch dann bilden sich vielfältige Formen des Gegenübers aus. Tiere als soziale (Ersatz)Partner. Natur als ureigenes Gegenüber beim (meditativen) Gärtnern, Wandern und Leben in der Natur. Spirituelle Naturerfahrungen eröffnen für religiös musikalische Menschen die Zwiesprache mit einem „unsichtbaren Gegenüber“. Ebenso stellen Literatur, Kunst und Musik ihrerseits Formen als „symbolisches Gegenüber“ dar. Schließlich ermöglichen virtuelle Formen mit Künstlicher Intelligenz, digitaler Assistenz, Chatrooms und Chatbots soziale Kontakte bei fehlender physischer Nähe und Ersatz für –, ja für was genau? „Hauptsache, ich hab ein Gegenüber“, lässt Martina Hefter ihre Hauptfigur über ihr Chatten mit einem Love-Scammer sagen…
Achtung: Der Auftakt findet im „Schwörsaal“ statt! Dort wird das Team des blauen Sessels dem Reichtum des Gegenüber-seins nachgehen mit: Aleida Assmann, Frank Berzbach, Thea Caillieux, Susanne Gregor, Martina Hefter, Judith Kuckart, Katharina Mevissen, Steffen Nowak, Leta Semadeni, Eva Weber-Guskar.
Ralf Elm ist Mitglied der Bürgerinitiative „im blauen Sessel.“
Im blauen Sessel
Fr 11. April, Auftakt im Schwörsaal Ravensburg, 18.45 Uhr
Lesungen in den Salons der Ravensburger Marktstraße: 20 & 21.15 Uhr
VVK-Stellen & das komplette Programm: www.imblauensessel.de
Die Veranstaltung ist zwischenzeitig ausverkauft.
Foto: Aleida Assmann, (c) Corinna Assmann