Das monumentale Familienepos „Effingers“
Das Kulturbüro befasst sich in seiner Reihe „Weiblich & Wiederentdeckt“ mit dem Hauptwerk der 1982 verstorbenen Autorin.
1931 war die Gerichtsreporterin Gabriele Tergit (1894–1982) mit ihrem Erstling „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ berühmt geworden. In einem minimalistischen, ironisch-sarkastischen Stil porträtierte sie den Presse- und Kulturbetrieb im Berlin der Weimarer Republik. Doch der Erfolg sollte nur kurz währen. Als jüdische Intellektuelle und wegen ihrer Tätigkeit als Gerichtsreporterin war sie den Nationalsozialisten auf mehrfache Weise ein Dorn im Auge.
Im März 1933 sollte Tergit auf direkten Befehl von Goebbels interniert werden. Nach einem gescheiterten Überfall der SA auf ihre Wohnung im Berliner Stadtteil Tiergarten flüchtete Tergit mit ihrer Familie zunächst in die damalige Tschechoslowakei und später nach Palästina. Kurz vor Beginn des zweiten Weltkriegs siedelte die Familie nach England über. Nach dem zweiten Weltkrieg vollendete sie ihren 1931 in Berlin begonnen Roman „Effingers“ im dortigen Exil. Eine Familienchronik über vier Generationen, die die Epochenbrüche und das besondere Schicksal einer jüdischen Familie beobachtet. Temporeich, vielstimmig und historisch präzise bis ins kleinste Detail zeichnet der Roman die wechselnden Zeitstimmungen und die sich drastisch wandelnden Sitten nach. Im Nachkriegsdeutschland aber wollte niemand mehr von Krieg, Exil und Nazizeit hören und so erschien der Text 1951 in einer gekürzten Fassung. Ein Flop. Tergit, die knapp 25 Jahre das P.E.N-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland leitete, starb 1982 in London. Es sollte bis in die Gegenwart dauern, dass Tergit in ihrer literarischen Bedeutung erkannt wurde. Heute gilt „Effingers“ als Meisterwerk literarischer und zugleich historisch hochpräziser Darstellung des dramatischen Zeitgeschehens.
Die Literaturwissenschaftlerin und Tergit-Expertin Juliane Sucker stellt Gabriele Tergits Hauptwerk „Effingers“ vor und wirft auch einen Blick auf den Roman „Der erste Zug nach Berlin“, der im Frühjahr 2023 neu erscheint. Die Schauspielerin Lucia Schulz liest ausgewählte Passagen.
Florian Kind ist Veranstaltungsleiter im Kulturbüro Friedrichshafen.
Weiblich & Wiederentdeckt II: Gabriele Tergit
So 23. April, Kiesel im k42 Friedrichshafen, 11 Uhr
Mit Juliane Sucker und Lucia Schulz
Foto: Jens Brüning