Hélène Grimaud und das London Philharmonic Orchestra in Friedrichshafen
Die Pianistin Hélène Grimaud spielt Brahms erstes Klavierkonzert im Graf-Zeppelin-Haus. Ihr Partner ist das London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Edward Gardner.
Lange traute sich Johannes Brahms nicht, nach Beethovens neunter selbst eine Sinfonie zu komponieren – eine Sinfonie sei „eine Angelegenheit auf Leben und Tod“, schrieb er. Zur orchestralen Form tastete er sich vor: Aus einer Sonate für zwei Klaviere wurde ein Sinfonieversuch und dann das erste Klavierkonzert. Als 25-Jähriger, fünf Jahre nach den ersten Ideen, übernahm er selbst am Klavier die Uraufführung. Ohne Umschweife präsentiert das Orchester das zunächst dunkel drohende Thema, das Klavier singt in klaren Akkordreihen darauf sein eigenes Lied. Zum zweiten Satz schrieb Brahms an Clara Schumann: „Auch male ich an einem sanften Porträt von dir, das dann Adagio werden soll.“ Innig antwortet das Klavier auf schwebende Violinen und führt mit dem Orchester ein teils klagendes Zwiegespräch. Ungarisch gefärbt, in übermütigen Achteln und Sechzehnteln wirbelt das Rondo vorüber.
Der Solopart ist nicht nur technisch überaus anspruchsvoll. Statt auffälliger Virtuosität muss das Klavier sich auf Brahms´ innere Kämpfe einlassen und jede Klangfarbe des Orchesters erwidern. In Friedrichshafen wird Hélène Grimaud das Konzert interpretieren. Kompromisslos, unbedingt, eigenwillig und leidenschaftlich – diese Eigenschaften teilt die Pianistin mit dem Komponisten. Ans Klavier setzten sie ihre Eltern, um ihre unbändige Energie zu zügeln. Mit 12 Jahren begann sie am Pariser Konservatorium zu studieren und verließ es vier Jahre später – unter Protest, aber mit einem Plattenvertrag. Wenig später gelang der internationale Durchbruch mit dem Orchestre de Paris unter Daniel Barenboim. Schon für ihre erste Plattenaufnahme erhielt sie einen Grand Prix du Disque, zu ihren zahlreichen Auszeichnungen gehört die Aufnahme als Chevalier in den Ordre National de la Légion d’Honneur durch die französische Regierung. Ihr Engagement reicht weit über die Musik hinaus: Hélène Grimaud unterhält ein Wolfsgehege bei New York, schrieb Bücher und setzt sich für Menschenrechte, Natur- und Klimaschutz ein. An Brahms´ Werken schätzt sie deren Tiefe und Eindringlichkeit.
Mit 43 Jahren – nach zwei Orchesterserenaden – stellte Brahms dann doch seine erste Sinfonie vor. Das London Philharmonic Orchestra wird sie unter der Leitung seines Chefdirigenten Edward Gardner aufführen: ein ernstes Werk voll Spannung, Poesie und Komplexität. Brahms verbindet darin klassische Form mit romantischer Variation, kammermusikalisch durchsichtige Passagen mit vollem Orchesterklang und Kontrapunkt mit sanglichen Melodien.
Corinna Raupach ist freie Journalistin.
Hélène Grimaud & London Philharmonic Orchestra
Sa 18. November, Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen, 19.30 Uhr
Foto: Mat Hennek