„Das zweitbeste Theater im deutschsprachigen Raum“
Einladung zum Berliner Theatertreffen mit gleich zwei Aufführungen, elf Nominierungen und vier Preise bei der Nestroy-Verleihung 2022, fünf Gewinne bei der jährlichen Kritiker-Umfrage von „Theater heute“ und dazu die zweitmeisten Nennungen bei der Frage nach dem „Theater des Jahres“. Man kann getrost sagen, 2022 war das Jahr des Wiener Volkstheaters und seines Intendanten Kay Voges, der erst in seine zweite Spielzeit in Wien ging. Zur Spielzeit 2020/2021 war Voges aus Dortmund nach Wien gewechselt und gleich mit einem langen coronabedingten Spielverbot gefordert. In Dortmund hatte Voges das Haus zu einem der wichtigsten Theaterlabore Deutschlands entwickelt. Der als „Bühnen-Nerd“ gefeierte Intendant hat sich in dieser Zeit den Ruf erarbeitet, wie kein Zweiter für modernes Schauspiel zu stehen, der alle zur Verfügung stehende technischen und multimedialen Hilfsmittel nutzt, um Form und Inhalt ästhetisch zusammenzubringen.
In Friedrichshafen gastiert das Volkstheater am 3. März mit Gerhardt Hauptmanns bisher wenig gespielten Drama „Einsame Menschen“, das den Kampf von Individuen schildert, die neue Formen der Gemeinschaft suchen und dabei doch nicht zueinander finden. Das Stück kreist immer wieder um das Dilemma der Freiheit, das Festhalten an Traditionen, die Suche nach neuen Beziehungsmodellen – und um das persönliche Glück, das sich zwischen all diesen Positionen einen Weg schlagen muss.
Im Zentrum steht der junge Akademiker Johannes Vockerat (Nick Romeo Reimann), der mit seiner Ehefrau Käthe (Anna Rieser, Nestroy-Nominierung!) ein zurückgezogenes Leben führt. Im angemieteten Landhaus lebt gemeinsam mit ihnen der langjährige Freund Braun (Frank Genser), der seine Schaffenskrise als Künstler zu überwinden versucht sowie Johannes’ fromme, aber nach außen joviale Mutter (Anke Zillich, Nestroy-Nominierung!). Johannes und Käthe sind seit kurzem Eltern und schon kriselt die Beziehung: Sie findet nicht wie vorgeschrieben die Erfüllung im Muttersein, er reproduziert trotz all seiner Aufgeklärtheit patriarchale Strukturen und erstickt an der vermeintlich heilen Welt um ihn herum. Die häusliche Vereinsamung wird plötzlich unterbrochen, als die Studentin Anna Mahr (Gitte Reppin) aus Zürich bei der Familie auftaucht. Sie will Braun, ihren alten Freund aus Studienzeiten, wiedersehen, Gespräche führen, vielleicht auch alte Rechnungen begleichen. Johannes aber ist von Annas Auftreten unverzüglich euphorisiert: unangepasst, weltgewandt und auch noch voller Begeisterung für seine philosophischen Manuskripte! Auch Käthe ist von ihrer emanzipierten Schlagfertigkeit fasziniert. Und doch ist das Glück nur von kurzer Dauer.
Florian Kind ist Veranstaltungsleiter im Kulturbüro Friedrichshafen.
„Einsame Menschen“ von Gerhart Hauptmann
Fr 3. März, Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen, 19.30 Uhr
Einführung: 19 Uhr