Schauspiel Leipzig verwebt die Arbeiten Franz Schuberts und Elfriede Jelineks
Aus und vorbei. Eine Liebe ist aus, das Leben ist vorbei. So fühlt es sich zumindest an für das Ich, das in der „Winterreise“ fluchtartig die Stadt und das bisherige Leben verlassen muss. Ob es eine freiwillige oder gezwungene Flucht ist, wird nicht ganz klar. Klar ist nur: Es ist quasi über Nacht vorbei, was eben noch eine Liebe war und eine Zukunft. Wut wechselt sich ab mit Ohnmacht und mit Erinnerung. Klar ist auch, dass es Winter ist. Draußen in der Natur — und drinnen in den Seelen.
Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“, 1827 komponiert auf Wilhelm Müllers Gedichte, ist die so existenzielle wie subjektive Erkundung einer erschütterten Existenz. Generationen von Sängern – und mehr und mehr auch Sängerinnen – haben diesen Liederzyklus immer wieder neu interpretiert. Auch Elfriede Jelinek, für die Schuberts „Winterreise“ eine „Lebenslange Inspirationsquelle“ darstellt, hat im Jahr 2011 den Kosmos der „Winterreise“ neu befragt und ins Heute gezogen. In einem ihrer leisesten und poetischsten Werke durchwandert sie Stationen der Sehnsucht in der gegenwärtigen Welt. Jelineks „Winterreise“ führt durch eine Gesellschaft, deren Öffentlichkeit sich auf dem Marktplatz der sozialen Medien vollzieht, in der sich Ver- und Entlieben auf digitalen Portalen wie Tinder, Grindr & Co. ereignet. Ihr Text erzählt vom „Allein-sein-Wollen“ und vom „Allein-sein-Müssen“, von der fremdbestimmten Entwurzelung bis zur selbstbestimmten Weltflucht aus Unbehagen an der Gemeinschaft.
Das Schauspiel Leipzig führt beide „Winterreisen“ zusammen und verwebt sie miteinander. Die Mehrstimmigkeit, in der Elfriede Jelinek ihre „Winterreise“ entwickelt, überträgt der Abend auf Schuberts Musik zurück – und lässt beide Werke sich chorisch begegnen. Intendant Enrico Lübbe setzt so seine Auseinandersetzung mit der bedeutendsten Dramatikerin der Gegenwart fort, die 2004 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Die musikalische Leitung übernimmt mit Jürg Kienberger einer der prägendsten Theatermusiker der letzten Jahre.
Text: Schauspiel Leipzig
„Winterreise / Winterreise“
Di 29. März, Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen, 19.30 Uhr
Schauspiel Leipzig
Foto: Rolf Arnold