Anna Katharina Hahn liest aus ihrem neuen Roman „Der Chor“
Die Stuttgarter Autorin Anna Katharina Hahn ist bekannt für sehr genaue Blicke in unsere aktuellen gesellschaftlichen Befindlichkeiten. Mit Romanen wie „Kürzere Tage“, „Das Kleid meiner Mutter“ oder „Am Schwarzen Berg“ erschrieb sie sich den Ruf einer brillanten Erzählerin auf der Höhe der Zeit. Sie wird von ihrer großen Leserschaft ebenso geschätzt wie von der Literaturkritik. Im vergangenen Herbst erschien mit „Der Chor“ der fünfte Roman, den die Autorin in der Zehntscheuer vorstellen wird. Angesichts unserer Gegenwart, in der kaum noch etwas sicher scheint, schildert Hahn einen Stuttgarter Frauenchor als Spiegel einer ganzen Stadtgesellschaft. Einfühlsam und unerbittlich porträtiert sie Frauen aus drei Generationen – in ihren Stärken und Schwächen, ihrer Sensibilität und ihrer Gnadenlosigkeit.
Zur Konstellation des Werks berichtet Hahn: „‘Der Chor‘ führt, wie alle meine Romane, eine Vielzahl von Themen zusammen. Ohne ihren Chor würden Frauen wie Alice, Marie und die junge Studentin Sophie sich wahrscheinlich nicht näher mit Lena befassen, die bereits auf die 80 zugeht. Freundschaften und Abneigungen entstehen in diesem Gefüge, alle Figuren suchen nach Erlösung durch andere. Einsamkeit ist ein großes Thema, die Verlassenheit der Alten wie der Jungen, auch das Alleinsein zu zweit in der Ehe. (…) Und selbstverständlich ist ‚Der Chor‘ auch ein Roman über das Erzählen selbst.“
Das Buch lässt sich zudem als Hommage an das Verbindende gemeinsamer kultureller Aktivitäten lesen, das uns allen coronabedingt abhanden gekommen war. „Endlich wieder offline! Schon vor der Zeit des Lockdowns war die Probe ihres Chores (…) der Höhepunkt der Woche. Nachdem sie viel zu lange nur hinter Masken oder gar nicht zusammen singen konnten, erkennen sie deutlich, was sie vermisst haben. Ihre Freundschaften haben die Pandemie überlebt, allerdings auch ihre Probleme“, heißt es im Klappentext.
Und zur Bedeutung Stuttgarts als Handlungsort des Romans bemerkt die Autorin: „Bei einigen Figuren empfinde ich den Wesenskern, ihre Hintergründe und ihre Sprache als unverkennbar für Stuttgart. Die Lebensläufe sind deutlich durch unterschiedliche Formen von Arbeitsmigration in der Nachkriegszeit geprägt, die in dieser Stadt bis heute spürbar sind. Alice und Lena sind Nei’gschmeckte, also Zugezogene. Sie reiben sich an den Grenzen, die Stuttgart ihnen vorsetzt.“
Und so ist mit dieser Lesung das neue Werk einer aufmerksamen Beobachterin unserer Tage kennen zu lernen, sowie auch ein Text, der nicht nur den vielen „Chorschwestern“ einen Spiegel vorhält.
Michael Borrasch ist Geschäftsführer des Zehntscheuer Ravensburg e.V.
Anna Katharina Hahn: „Der Chor”
Fr 14. Februar, Zehntscheuer Ravensburg, 19 Uhr